Schräge Gestalten ...
... ist mein Blog mit autobiographischen Notizen: schräge Gestalten, denkwürdige Orte, merkwürdige Erlebnisse, hier alle fein säuberlich aufgelistet und einzeln anklickbar.

Dorfgespräch
Unsere erste Rast legten wir kurz hinter Celle in einem Dorfgasthof links der Landstraße ein. Wir, das waren Ronald, unser Vorarbeiter in der Halle 52 bei Telefunken in Empelde, und ich, in diesem Sommer 1973 zu zweit auf seinem Moped, ...

Sieben auf einen Streich
Meinem Bruder gelang es gerade noch, sich mit zwei Sprüngen auf den Bürgersteig zu retten. Ich blieb, warum, weiß ich auch nicht mehr, allein mitten auf der Kreuzung zurück, fand mich plötzlich von sieben Bullen umzingelt, die versuchten, mich festzunehmen, ...

Theo
"Weg mit der ZP Alte Geschichte", "Boykott", "Nieder mit der bürgerlichen Wissenschaft" war auf den Spruchbändern zu lesen, die den Flur im dritten Stock des Blauen Turms schmückten. Die Studentenmassen, die sich dort drängelten, Fachschaftsräte, Spontis, Genossinnen, Genossen, Sympathisanten und ...

Antennendrähte
Damals, als das Fernsehen noch ein Gemeinschaftserlebnis war, als Durbridge-Krimis und Millowitsch-Übertragungen mit Einschaltquoten von fast 90 Prozent die Straßen leerfegten und die Menschen vor den Geräten zu einem einig Fernsehvolk vereinten, zu dieser Zeit beschlossen mein Bruder und seine ...

Osnabrück
Kopftreffer waren nicht erlaubt, mein Gegner reichte mir nur bis ans Kinn, seine Arme viel kürzer als meine, trotzdem hatte er mich nach zwei Minuten in die Ecke des aus Stuhllehnen, Betten und dem Kampfrichtertisch improvisierten Rings gedrängt, ich konnte ...

Café Perdoni
Wer sich für fortschrittlich hielt, Drogen nahm, politisch aktiv war, antiautoritär und links natürlich, etwas anderes zählte nicht, progressive Musik hörte, ging ins Marchioni in der Leinstraße. Dort trafen sich diese Szenen in rauchgeschwängerter Luft, es war immer voll, in ...

Göttingen
Ein früher Freitagabend im Januar 1971, von Osnabrück bis Altenbeken fuhr wenigstens ein Bummelzug, dann mußte ich umsteigen und es ging noch langsamer voran. Eine schier endlose Fahrt durch Südniedersachsen, im Bus war es genauso dunkel und langweilig wie draußen, ...

Wem gehört der deutsche Wald?
"Wo die Weser einen großen Bogen macht ..." Nachts um halb eins aus sieben Kehlen in einem Zweibettzimmer im Haus Sonnenberg in St. Andreasberg. "Wo man trinkt die Halben in zwei Zügen aus ..." Der Rotwein kreiste in Flaschen, den ...

Zechpreller
Nur zweimal in meinem Leben bin ich die Zeche schuldig geblieben, einmal, wir waren beide kaum sechzehn, als ich mich mit meinem Freund Jürgen, dem Sohn des Sargtischlers, der zwei Jahre zuvor von zu Hause ausreißen wollte, es mit dem ...

Just Like Scottie Ferguson
Am 21. August 1968, es war ein Mittwoch, zogen wir im Triumph in Jönköping ein. Das Autoradio voll aufgedreht, Ola & The Janglers "Let's Dance", ich hatte mich durchs Schiebedach gezwängt, stand mit federnden Knien auf dem Beifahrersitz, reckte die ...

Quadronal und Bier für 35 Pfennig
"Walther! Rätzke!" Mit gequält zitternder Stimme scheuchte uns Mucki Dahms vom Käsekästchenspiel hoch: "Ich habe Kopfschmerzen und brauche Quadronal." Er hatte immer Kopfschmerzen und brauchte immer Quadronal, wir waren beide in der neunten Klasse sitzengeblieben, aber Mathematik war nicht unser ...

Tarnanzug
Einmal war ich sogar im Fernseh', 1977 muß das gewesen sein, als Störer in einem 90-Sekunden-Filmbericht über eine Biedenkopf-Veranstaltung im größten Hörsaal des ZHG. Ich war aber nicht als solcher zu erkennen, denn ich sollte dem Genossen Gerold helfen, ein ...

Ertappt
"Was machen die Menschen in der Kirche?", fragte uns Pastor Günther vor fünf Jahrzehnten in der Konfirmandenprüfung. "Sie schlafen", vorwitzelte es postwendend aus mir heraus, wie üblich, ohne mich vorher gemeldet zu haben. Der Pastor sah mich strafend an, die ...

Lichte Momente 4: Brainticket
"Diese Reise werdet ihr niemals vergessen. Das verspreche ich euch." Meyer saß an dem Tisch in der Mitte und faßte die Langspielplatte, Brainticket, die er gerade auf das Koffergerät auflegte, vorsichtig mit den Fingerkuppen beider Hände am Rand, als sei ...

Lichte Momente 3: Engel und Vampire
Gemeinsam gingen wir meist nur montags bis donnerstags auf die Reise, am Wochenende fuhren fast alle nach Hause, nach Unna, Bochum oder Gelsenkirchen, nur Gerd C. blieb oft in der Kaserne, seine Eltern waren geschieden, Geschwister hatte er nicht, seine ...

Lichte Momente 2: Good Vibrations
"Jetzt." Verschwörerisch leise und wie aus einem Munde. Auf dieses Kommando warfen wir die kleinen weißen Pillen ein, spülten sie mit dem lauwarmen Bundeswehrtee hinunter, standen auf, wieder gleichzeitig, stellten das Geschirr weg, gingen noch einmal kurz auf unsere Stuben, ...

Lichte Momente 1: Lächerlichkeit des Seins
Da saßen wir an diesem kalten Samstagabend Ende Dezember 1970, Gaggi M., Ahab K. und ich, auf der Bank an der Bushaltestelle vor dem Bahnhof und tauschten lachend Gedanken von philosophischer Untiefe aus. Die Trips hatte Gaggi von diesen drei ...

Gasthof Bahlmann
Dann war da noch der schwer Abgefüllte in der schmuddeligen Arbeitsjacke vor dem Spielautomaten im Gasthof Bahlmann in Schessinghausen, an einem Sonntagspätnachmittag zwischen Weihnachten und Silvester wie heute, der die siebzig Mark, die ihm die Goldene Serie eingebracht hatte, im ...

Völker, hört die Signale
Dann war da noch das Pärchen aus Lüneburg, beide in der KPD organisiert, das beim Orgasmus immer die Internationale absang, alle Strophen, um damit die konterrevolutionäre Sünde eines allzu lustvoll erlebten Geschlechtsakts abzuwaschen. Sabine erzählte mir vor vierzig Jahren im ...

Fernseh'
An diesem Mittwochnachmittag im Juli 1974 regnete es auch in Hannover, nicht nur in Frankfurt. Wir wollten uns das Weltmeisterschaftsspiel gegen Polen nicht wie das gegen Schweden in dieser Kneipe in der Lister Meile anschauen. Deshalb hatte ich mir in ...

Skilly
Sieben Halbe brauchte er, bis er den Mut fand, die Frau des Geschäftsführers zum Tanz aufzufordern, sie willigte lächelnd ein, die Tanzkapelle spielte einen Marschfox, er aber preßte sie an sich, als sei es ein Klammer-Blues, sie widersprach freundlich lächelnd, ...

Der Mann mit der Hasenscharte
Zugig, unfreundlich leer, das schmutzig-kalte Licht ließ mich mitten im Sommer frösteln, ich stand in der Bahnhofshalle, studierte die Fugen und Kanten der grauen Treppenstufen, die hinunterführten in den Tunnel zu den drei Bahnsteigen, und wartete an diesem Sonntagabend, bewaffnet ...

Monsieur Le Taschentuch
Monsieur Le Taschentuch, so tauften wir den einen der beiden französischen Studenten, die in ihren Ferien bei Telefunken in Empelde in der Halle 52 arbeiteten, die Nächte auf einem Campingplatz in Hannover fröhlich feiernd durchlebten, tagsüber den Schlaf, von uns ...

Leichen pflastern seinen Weg
Woher wir den 16-mm-Projektor hatten, ich habe es vergessen, zur Einrichtung des Bunkers gehörte er jedenfalls nicht, und zu unserem eigenen Agitationsmaterial auch nicht, obwohl wir gut ausgestattet waren, von roten Transparenten über Stelltafeln bis zu einem Hektographiergerät, das mit ...

Ein Duell
"Kommen Sie und überzeugen Sie sich selbst." San=Bereich der Jägerkaserne Bückeburg: Wir waren im Dienstzimmer des Hauptfeldwebels angetreten, stramm ausgerichtet in einer Reihe, Hände an der Hosennaht, der Kommandeur nahm den unangekündigte Haarappell persönlich ab, spazierte mit hinten verschränkten Händen ...

Ein Nachhilfelehrer
It's gonna be a thrilla and a chilla when I get the gorilla in Manila. "Laß uns die Abkürzung nehmen." Wir kamen vom Studentenwohnheim im Albrecht-Thaer-Weg, wo meine Freundin Sabine damals in einer WG mit zwei Waldorfschülern aus Worpswede lebte, ...

Ein Buchhändler
Seume? Spaziergang? Warten Sie ... das müßte ... hier ... warten Sie ... das haben wir gleich. Barry und ich schauten uns fragend an, als der alte Mann zielgerichtet zu einem der Stapel schlurfte, in denen sich die Bücher an ...

Zwei Lokale
Unten war die Tilly-Klause: viel dunkles Holz, tief hängende Lampen, Zigarettenqualm, Remmer. Das tranken wir und sangen dazu unser Lied: Remmerbier, Remmerbier trink ich gerne, Remmerbier, Remmerbier hat keine Kerne, Remmerbier, Remmerbier, das fließt munter unsre Kehle rauf und runter. ...

Berlin!! Berlin!!! Berlin!
Ostern 1963 Das erste Mal in meinem Leben kam ich Karfreitag 1963 nach Berlin, in einem Reisebus, mit einer kirchlichen Jugendgruppe. Wir übernachteten in einem Evangelischen Studentenwohnheim: in Sichtweite der Villa Axel Cäsar Springers in der Bernadottestraße; das wurde vom ...

Die glücklichsten Jahre der Menschheit
An einem Montag im Sommer 1971 nachmittags um 14:30 Uhr. Heeresfliegerwaffenschule. Jägerkaserne Bückeburg. Behandlungszimmer III des Sanitätsbereichs. Vor mir schwitzte ein Major vom Flugpatz Achum unter dem Lichtbogen, mir juckte die Kopfhaut unter dem Haarnetz, unter das ich meine Mähne ...

Hotel Leibniz
1975 war der 11. April ein Freitag. Wir trafen uns zufällig in der Cafeteria, Barbara, Roland und ich, Tasse Kaffee in der weißen Plastiktasse vierzig Pfennig, Asso-Kuchen fünfzig, das heißt, den Kuchen hatte nur ich und der Saarländer Roland wie ...

Ringo
Won't you shake me, baby, well get you rollin' down Won't you shake me, baby, well get you rollin' down Oh, baby, we're gonna have some fun Selbstverwaltete Diskothek "Go In" im Fresenhof an einem Sonntagnachmittag Anfang 1970. Kaum hatte ...

Himmelfahrt
Als ich zusammen mit Martin an Himmelfahrt vor 20 Jahren mit dem Fahrrad unterwegs war, dorthin, wo einst der letzte westdeutsche Wolf als "Würger vom Lichtenmoor" sein Unwesen getrieben haben soll und Zuchthäusler im Außenlager Torf stechen mußten, kamen uns ...

Zitronenmilch
An einem schönen Spätnachmittag im Mai saß sie drei Tische von uns entfernt im Café Güse am Aegi. Dunkelhaarig, schlank, liebreizend, aber sehr allein, wie es schien. Wir arbeiteten beziehungsweise faulenzten alle bei Telefunken im Lager in der Halle 52 ...

Road Movie 1971
NI T 852 - da stand er vor uns, ein gebrauchter 1200er Käfer in Perugrün, für den ich zweitausend Mark hingeblättert hatte, und wartete darauf, Nappi B., dem wir Sonntagmorgen für Sonntagmorgen das Vergnügen gönnten, uns vier bis zwölf Sekunden ...

Novemberrevolution
Zweimal in ihrer Geschichte wurde die beschauliche Kleinstadt Nienburg an der Weser, die sonst nur für ihren Sand und ihren hervorragenden Spargel berühmt ist, von revolutionären Ereignissen heimgesucht. "Das eine Mal als große Tragödie" durch den Großen Glasarbeiterstreik von März ...

Der Mann, der Karl Marx widerlegte
In der zehnten Klasse hatten wir einen Gemeinschaftskundelehrer, einen Dr. Dr. Weck, der seiner Partei, der FDP, den Rücken gekehrt hatte, weil sie ihm seinen Traum, niedersächsischer Kultusminister zu werden, nicht erfüllen wollte, und der von sich behauptete, einer der ...

Weltzentrum des Geizes
Wieder einmal nahm ich den Schleichpfad der Erinnerungen über Schessinghausen und den Nienburger Bruch. Dieses Mal bog ich aber an meinem Geburtshaus links ab. Rechts der Friedhof, auf dem einst meine Großeltern lagen, die aber längst auf den großen Komposthaufen ...

Henry Ritzer, Widerstandskämpfer
April 1984 Im Hinterzimmer der Gaststätte, in der über Jahrzehnte der 1. Mai, der Kampftag der Arbeiterbewegung, als behäbige Saalveranstaltung durchgeführt wurde, sitze ich mit 21 DGB-Senioren und dem Leiter der Veranstaltung bei Bier, Kaffee und Kuchen in gemütlicher Runde ...

Karl M.
Immer, wenn ich nach Feierabend zur Abwechslung einmal meine Eltern besuchen wollte, fuhr ich diesen Schleichweg der Erinnerungen: runter von der Bundesstraße, durch Schessinghausen und den Bruch über den Meerbach und den unbeschrankten Bahnübergang hinein ins heimatlich Gruselige. Oder gruselig ...

Gartenzwerg
Da lachen ja die Hünner. So stand es im Lokalteil der Tageszeitung, Wort für Wort unredigiert abgedruckt, mit allen Rechtschreibfehlern, nicht hinten als Leserbrief unter den Vereinsnachrichten versteckt, nein, gleich links auf der ersten Seite in der Kommentarspalte "Unter der ...

Onkel Willi
Meine sehr verehrten Damen und Herrn. Es ist 22 Uhr. Sollten sich hier kleine Mädchen beziehungsweise lüttsche Jungs unter 16 aufhalten, bitte ich sofort das Lokal zu verlassen. Ich erinnere Jugendschutzgesetz. Bei dieser ersten Durchsage des Abends bekam er die ...

Rüdiger
Anfang November nachts um halb zwei mit Badekappe, Taucherbrille und einskommazwei Promille in verkehrter Richtung in die Einbahnstraße. Ich saß daneben und hatte noch gewarnt: "Rüdiger, das ist eine Einbahnstraße!" "Bleib cool, ich fahre hier immer durch. Das ist eine ...

Der kleine Herrgott
Dann kam ein neuer Ingenieur, das war'n begeisterter Fußballer, der stand jeden Fußballspiel auf'n Schloßplatz. Und wenn er dann sah, daß ich eine Verletzung hatte, dann hat er denn gesagt: "Morgen bleiben Sie zu Hause, ich spreche mit Ihrem Meister." ...

Ernst-August
"Peter, Peter, Peter." Ernst-August gab mir seine feuchtwarme Hand, drückte schlaff zu und keuchte: "Schön, daß du mich mal hier oben besuchst." Dabei hätte ich keuchen müssen, denn ich war gerade die Treppen zu seinem Reich unter dem Dach des ...