Cloppenburger Märchenstunde

Sein Beichtvater Antonius Enninga hatte es ihm so schonend wie möglich nahegebracht: Wenn er wirklich noch vor seinem 50. Geburtstag die Frau fürs Leben finden wolle, sei Beistand von allerhöchster Stelle notwendig. Also machte sich Werner Ehmig, Inhaber der Bäckerei-Konditorei-Café Grünhage vorm. Mohrenstecher im Herzen von Cloppenburg, vor zwölf Jahren auf zur Pilgerfahrt nach Rom, blieb aber in einem Straßencafé in Siena hängen.

Dort spielte gegen gesalzenen Aufpreis ein Stehgeiger auf, den alle nur Maestro nannten, angeblich war er in jüngeren Jahren in den größten Konzertsälen der Welt aufgetreten, lockte mit seinen Tönen die gesamte Frauenwelt in Hörweite herbei, zauberte ihr begierig glänzende Augen und gewährte als krönenden Abschluss der Signorina seiner Wahl die Gunst für eine Nacht. Ja, so eine Attraktion könnte auch in Cloppenburg ein leeres Café füllen und in eine Goldgrube verwandeln. Ehmig sprach den Maestro an und weil der Cloppenburg mit Göteborg verwechselte, schlug er ein und erfüllte zwei Wochen später die frühsommerliche Abendluft vor dem Café Grünhage erstmals mit dem zarten Klang seiner Violine.

Aber das Rezept schien in der norddeutschen Luft nicht zu wirken, die auf die Straße geschafften Tische und Stühle blieben gähnend leer, nur einige einsame Münzen verirrten sich in den Kasten des Maestros. Das änderte sich schlagartig, als sich in dessen Hose die Annäherung Mareikes, der ungekrönten Busenkönigin Cloppenburgs, mit einer warmen kräftigen Ausbeulunq ankündigte. Mitten im Strich hielt der Maestro inne, ließ seinen Bogen in einen Haufen Hundekot fallen, kramte aus einem Geheimfach seinen Spezialbogen hervor - von Colani persönlich entworfen und von Satan in Gestalt eines päpstlichen Kammerdieners gesegnet, mit einem aus Elfenbein gearbeiteten Phallus als Spitze - nahm die Melodie an der unterbrochenen Stelle wieder auf, verbeugte sich dämonisch lächelnd vor Mareike und wies ihr mit einem knappen Kopfnicken einen Platz an Tisch vier an.

Schon mit dem ersten Takt hatte der Zauberbogen sie in seinen Bann gezogen, mit dem vierten die Macht vollständig übernommen, vor Geilheit zitternd ließ sie sich auf dem Plastiksessel niedersinken, bestellte willenlos einen Campari zum doppelten Preis nach dem nächsten, während der Maestro immer enger um sie herumtänzelte, immer enger, der Geruch seines Geschlechts ihre Erregung ins geradezu Hysterische steigerte, der Dämon des Bogens auch den letzten Platz mit katholischen, ja sogar mennonitischen Unterleibern füllte und der Konditormeister das Schauspiel, das ihm die Kasse füllte, händereibend verfolgte. Eine geschlagene Stunde musste Mareike sich so foltern lassen, bis der Maestro endlich das Vorspiel beendete und sie ihm in die Dachkammer folgen durfte.

Auch an den nächsten Tagen kam der Colani-Bogen zum Einsatz, auf Mareike folgte die Apothekerin, auf die Apothekerin Taxi-Gundel, auf Taxi-Gundel Enningas Haushälterin, und damit waren alle Dämme gebrochen, Cloppenburgs Frauenwelt kam immer früher, um sich einen Platz in der Nähe des Maestros zu sichern, auch eine nochmalige Verdoppelung der Preise konnte sie nicht schrecken, so ging es nun drei Wochen und könnte noch bis zum heutigen Tag andauern, wären dann nicht die Tönnsingmeyer-Zwillinge aufgetaucht, 14 Jahre jung, unschuldig und so blond, daß der Maestro sich im erträumten Göteborg wähnte.

Die Zwillinge waren zwar nur durch ihre Haarspangen zu unterscheiden, aber der Dämon des Bogens war so böswillig, den Kompaß in der Hose des Maestros nur auf Julia zu richten, die aber ging jeden Morgen vor der Schule zur Beichte und hatte schon vor der Kommunion Herz und Geschlecht einzig Jesu geweiht und war deshalb immun, während sich Franziska schon beim ersten Ton, der ihr Ohr erreichte, die Kleider vom Leibe riß, ihre kleinen festen Brüste gegen den Maestro drängte, dann vor ihm niederkniete und an seinem Hosenbund nestelte. Der stieß sie von sich, kniete seinerseits vor Julia nieder und spielte nur noch für sie. Aber welche Leidenschaft er auch in seinen Strich legte, der Dämon konnte und konnte keine Gewalt über sie erringen. Nach zwei Stunden gab der Maestro völlig erschöpft auf, legte sich allein ins Bett und verrichtete zum ersten Mal nach 14 Jahren wieder Handarbeit.

Am nächsten Tag waren die Tönnsingmeyer -Zwillinge die ersten in der Arena, das Schauspiel wiederholte sich ebenso wie an den darauffolgenden Tagen, bis die Zwillinge am siebten Tag auf die Idee verfielen, ihre Haarspangen zu tauschen. Da war der Maestro schon so verwirrt vom ungestillten Verlangen, daß er den Betrug nicht merkte, nach vier Minuten mit Franziska in der Dachkammer verschwunden und nach weiteren neun Sekunden fertig war.

Franziska sammelte schwer enttäuscht ihre Kleider ein, beschloß, für den Rest ihres Lebens auf das eklige Gespritze zu verzichten, und da sie die leidige Angelegenheit unversehrt überstanden hatte, wurde sie freudig bei den Ursulinerinnen aufgenommen. Julia, von ihrer Schwester darüber aufgeklärt, wie banal und wenig aufregend das Geschlechtsleben in Wirklichkeit ist, ließ sich eine Woche später von einem Kossovo-Albaner für sein Bordell in Vechta anwerben. Ehmig gab seine Heiratspläne auf, der Maestro entsagte Musik und Frauen, warf seine Geige samt Colani-Bogen auf den Sperrmüll, zog ein Stockwerk tiefer ein und hilft nun in der Woche hin und wieder in der Backstube aus. Und Sonntag für Sonntag sitzen die beiden in Unterzeug bei einer Flasche Jever und schauen Sliders.